5 Jahre Corona – eine Abrechnung

5 Jahre Corona – eine Abrechnung

Freiheit um jeden Preis?

Eine bis heute immer wieder geäußerte Kritik besagt, dass ein unzulässiger und sachlich unbegründeter Druck auf diejenige Menschen ausgeübt worden sei, die sich – aus welchen Gründen auch immer – weigerten, sich impfen zu lassen. Da jede Impfung ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei, verstoße es gegen die verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte, ja: gegen die Menschenwürde -, wenn der Staat seine Bürger dazu zwinge. Dabei sei es unerheblich, ob dieser Zwang direkt (also durch eine gesetzlich verankerte Impfpflicht) oder indirekt (durch die Androhung von Nachteilen bei Weigerung, oder auch nur durch Nudging) erfolge.

Die Anwälte der Freiheit des Individuums, darunter honorige Persönlichkeiten wie der wortgewaltige Journalist und ehemalige Richter Heribert Prantl, vertreten ihre Thesen mit solcher Vehemenz, dass man schon ins Grübeln kommen kann.

Mir geht dieser Freiheitsbegriff dennoch zu weit. Freiheit über alles? Auch wenn die Inanspruchnahme meiner Freiheitsrechte Leben und Gesundheit anderer gefährdet?

Worin könnte die moralische Rechtfertigung für ein derart robustes Freiheitsverständnis liegen? Anders gefragt: Fällt das ethische Urteil gegen einen Impfverweigerer etwa deshalb milde aus, weil kaum zu befürchten ist, dass die konkreten Folgen seiner Weigerung jemals zurechenbar zu Tage treten werden; weil man sich vielmehr darauf verlassen kann, dass die Antwort auf die Frage, welche Infektionskette denn genau durch wessen Verhalten prolongiert oder unterbrochen wurde, im Nebel der Anonymität und der Spekulation bleiben wird?

Oder wirkt sich eventuell die Tatsache strafmindernd aus, dass es hierbei nicht um die Folgen einer aktiven Handlung geht, sondern um Konsequenzen des Nicht-Handelns? So wie rechtlich und moralphilosophisch bis zum heutigen Tag zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterschieden wird, obwohl bei Lichte betrachtet diese Unterscheidung nicht mehr ist als ein semantisches Hilfskonstrukt ohne materielle Belastbarkeit.

Man muss sich wohl damit abfinden, dass bei ethisch derart aufgeladenen Fragen keine Einigkeit zu erzielen ist. Zu unterschiedlich sind die individuellen Ängste, Befindlichkeiten und Vorerfahrungen. Ich bin auch gerne bereit, abweichende Positionen zu respektieren. Das Mindeste aber, das man erwarten darf, ist eine gewisse Konsistenz in der Argumentation. Jemand, der einerseits Impfungen kategorisch ablehnt, der aber andererseits kein Problem damit hat, sich während des Türkeiurlaubs in einem Hinterhof-Tattoo-Studio einen Adler auf den Oberarm tätowieren zu lassen, sollte sich nicht wundern, wenn ihm die Ernsthaftigkeit seiner Sorgen abgesprochen wird.
Die Vermutung liegt vielmehr nahe, dass die vorgeblichen Gesundheitsbedenken Ausdruck einer Bewältigungsstrategie sind: eine Chiffre für die Ablehnung staatlicher Autoritäten, ein Ventil für persönliche Kränkungserfahrungen, als Autonomie verbrämte Reaktanz.

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