5 Jahre Corona – eine Abrechnung
11. März 2020
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft den Ausbruch der Covid-19 Krankheit als Pandemie ein. Wenige Tage darauf beschließt die Bundesregierung den ersten Lockdown. Die Schulen werden geschlossen, die Kliniken werden angewiesen, sich planerisch komplett auf die Behandlung von Corona-Patienten umzustellen. Am 16. März 2020 ruft die Bayerische Staatsregierung den Katastrophenfall aus.
Gekommen, um zu bleiben
Mit kaum einem anderen Thema habe ich mich so lange und so intensiv beschäftigt wie mit der SARS-CoV2 Pandemie, die vor exakt fünf Jahren über unseren Planeten hereingebrochen ist. Ich habe unzählige Studien gelesen, fast jede Folge der Podcasts des NDR (Das Coronavirus-Update) und des MDR (Kekulés Corona-Kompass) gehört, und habe in den digitalen Medien mit den unterschiedlichsten Personen (und manchmal wohl auch mit Bots) diskutiert.
Eigentlich ist Corona für mich Vergangenheit. Da aber die Schockwellen dieses gesundheitlichen Erdbebens auf die eine oder die andere Weise bis in unsere Gegenwart hereinreichen, möchte ich das Jubiläum zum Anlass nehmen, um noch einmal zurückblicken und mein persönliches Fazit zu ziehen.
Zunächst muss man nüchtern feststellen: Das Virus ist in der Welt; es ist gekommen, um zu bleiben, und wird jedes Jahr aufs Neue Millionen von Menschen infizieren. Es wird Krankheit und Tod verursachen; und so lange es keine effektiven Behandlungsmethoden für die Krankheitsbilder gibt, die mangels passenderer Bezeichnung unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst werden, wird es immer wieder tragische Fälle geben, wo gesunde Menschen aus der Mitte ihres Lebens gerissen werden und mit der Diagnose ME/CFS über Monate oder gar Jahre ans Bett gefesselt bleiben.
Die Pandemie ist zur Endemie geworden. So wie unser Immunsystem immer wieder mit den diversen Influenza-Stämmen konfrontiert wird, so wird es sich auch darauf einstellen müssen, regelmäßigen Besuch von SARS-CoV2 Virusvarianten zu erhalten.
Auf der Habenseite steht: wir haben das Biest gezähmt. In einer einzigartigen Kooperation zwischen Wissenschaft, pharmazeutischer Industrie, Politik, Medien und Zivilgesellschaft haben wir es in Rekordzeit geschafft, wirksame Impfstoffe zu entwickeln und milliardenfach auszureichen; wir erlebten eine beeindruckende Leistungsschau der Bio-Pharmazeutischen Forschung. Wer hätte es im März 2020 für möglich gehalten, dass bereits im November, also nur acht Monate später, gleich mehrere Impfstoffkandidaten zur Verfügung stehen würden, mit einer nachgewiesenen Wirksamkeit von über 90% (1, 2)?
Dies war zweifellos nur möglich, weil in den Jahren vor der Pandemie weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit die technologischen und logistischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Impfstoffentwicklung geschaffen worden waren:
- Alle notwendigen Ingredienzien für die Impfstoffproduktion waren im Prinzip ausentwickelt und konnten ready-to-go dem Baukasten der modernen Biowissenschaften entnommen werden. Hierzu gehören Techniken zur RNA-Stabilisierung mit Hilfe modifizierter Basen, oder Methoden der Verfahrenstechnik zur effizienten Verpackung von RNA in Lipid-Nanopartikeln.
- Fortschritte in der Bioinformatik und der KI-gestützten Strukturbiologie ermöglichten ein rasches und zielgenaues Design von in silico sequenz-optimierten Impfstoff-Rohlingen.
- Unterstützung kam aus der Grundlagenforschung: seit der relativ glimpflich verlaufenden MERS-Epidemie im Jahr 2012 hatte die Wissenschaft ein großes Detailwissen über die Struktur/Funktions-Beziehungen beim SPIKE-Hüllprotein von Coronaviren angehäuft. Im deutschsprachigen Raum hatte sich in diesem Zusammenhang Prof. Christian Drosten, der Leiter des Virologischen Instituts der Berliner Charité, besondere Verdienste erworben.
Bei all dem handelt es sich um klassisches Expertenwissen, das über Jahre hinweg von Generationen von Doktoranden in den Labors dieser Welt generiert, zusammengetragen, publiziert oder patentiert worden war. Die Wissenschafts-Maschinerie lief wie geschmiert und legte – quasi als Beweis ihrer Effektivität – einer konsternierten Öffentlichkeit glänzend polierte Prototypen vor die Füße: wirksame und sichere mRNA-basierte SARS-CoV2 Impfstoffe.
Ich gebe gerne zu, dass die Pressemitteilungen der beiden Firmen Moderna und Biontech im November 2020, in denen sie über die sensationellen Zwischenergebnisse Ihrer Phase-3-Studien informierten, selbst auf mich als einschlägig vorgebildeten Naturwissenschaftler ein wenig wie die Verkündigung göttlicher Wunderheilungen in einer päpstlichen Enzyklika gewirkt haben.
Sicherlich trug bereits diese Tatsache – die kommunikative Unzugänglichkeit des Terrains unseres globalisierten Wissenschaftsbetriebs – den Keim für all die Gerüchte, Verschwörungsmythen und Falschmeldungen in sich, die seither den Diskurs vergiften. Die Angelegenheit intellektuell komplett zu durchdringen war unmöglich. Deshalb musste man sie glauben – oder eben nicht.
Meine persönliche Corona-Aufarbeitung
Corona ist eine Episode in meiner Biografie, die mich politisch geprägt und oft ratlos zurückgelassen hat. Mehr als einmal wurde mir vor Augen geführt, wie schwierig es ist, mit Personen eine sachliche Diskussion zu führen, die für die These empfänglich sind, dass es eine gute Idee sein könnte, einem Tweet von Klaus-Dieter aus Bottrop mehr Vertrauen zu schenken als dem fachlichen Urteil von 99% der globalen Wissenschaftsgemeinde.
Und trotzdem ist es richtig, es immer wieder zu versuchen.
Es wäre vermessen, sich an dieser Stelle vorzunehmen, all die Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre zu rekapitulieren. Stattdessen werde ich mich auf wenige Thesen fokussieren, die von Impfskeptikern, selbsternannten Querdenkern* und ihren medialen Stichwortgebern immer wieder vorgebracht wurden und werden (Seiten 2 – 5). Auf Seite 6 thematisiere ich kurz das Dilemma der politischen Akteure bei der Verordnung von Kontaktbeschränkungen. Zum Schluss (Seite 7) nenne ich einige Punkte, bei denen die Kritiker meines Erachtens Recht hatten, und die bei einer nächsten Pandemie unbedingt besser gemacht werden sollten.
* ich bevorzuge den Begriff Schrägdenker, denn ich weigere mich, die eigentlich positiv besetzte Zuschreibung des Quer-Denkers als jemand, der den Mut aufbringt, eingetretene Pfade zu verlassen, der Esoterik zu überlassen.