Robert Habeck verlässt die Politik und gibt sein Bundestagsmandat auf
Robert Habecks Klugheit, seine abwägende Urteilskraft und seine Authentizität werden im Bundestag schmerzlich vermisst werden.
Ich erlebte Habecks Art zu kommunizieren als erfrischend und entwaffnend. Er mutete dem Zuhörer etwas zu, verweigerte sich gerne der Verlockung, Sachverhalte über Gebühr zu simplifizieren, damit es der einfache Bürger versteht. Er hatte einerseits einen hohen Anspruch an sich selbst und nahm andererseits sein Gegenüber ernst. In allem, was er sagte – wie er es sagte – schien außerdem stets ein Funken Selbstzweifel durchzuscheinen. Der Subtext war: das, was ich jetzt sage, ist nicht vorformulierter Partei-Sprech, sondern Ergebnis eines Prozesses des Nachdenkens, des ehrlichen Abwägens, des sich eifrig Bemühens. Mit jedem Statement wurde ein unsichtbarer Disclaimer mitgeliefert, auf dem stand:
Ich sage, was ich denke. Ich stehe hinter meiner Aussage, weil es nach dem Stand des Wissens die beste Lösung ist. Und doch ist nicht auszuschließen, dass man in Wochen oder Monaten feststellen wird, dass es nur die zweitbeste Lösung gewesen ist. Und Ihr könnt mir vertrauen, dass ich dann ohne falschen Stolz zur Korrektur bereit sein werde. Dies ist mein Angebot an Euch.
Wahrscheinlich ist es das, was mir Robert Habeck so vertrauenswürdig erscheinen lässt: Er ist der Politiker mit der wissenschaftlichsten Herangehensweise an Probleme. Ein Argument darf genau dann als valide gelten, wenn es auf dem Stand des aktuellen Wissens fußt. Gleichzeitig vermittelt die zugewandte Art seines Vortrags eine tiefe Ernsthaftigkeit sowie die Gewissheit, dass Habeck über die Rationalität nie die Empathie vergessen würde.
Übrigens gehört auch Christian Drosten zu dieser Art Mensch. Ich weiß inzwischen, dass beide – Habeck und Drosten – auf viele Menschen arrogant wirken. Doch das sind sie allenfalls bei sehr oberflächlicher Betrachtung; auf einer tieferen Ebene wohnt ihnen Demut inne. Vielleicht so: Die beiden sind bewundernswert selbstsicher im Wissen um die eigene Fehlbarkeit. Noch mehr: Sie feiern das Konzept ihrer eigenen Fehlbarkeit, weil sie wissen, dass jeder ehrlich erarbeiteter Irrtum die Vorbedingung für das Erklimmen der nächsten Stufe zur Erkenntnis ist. Beide – Robert Habeck und Christian Drosten – haben versucht, das wissenschaftliche Prinzip in die politische Arena zu überführen. Dabei stießen sie auf weitaus größere Widerstände als man ahnen konnte. Ihre hehren Ideale sind an der rauen Wirklichkeit und an intriganten Gegnern zerschellt.
Robert Habeck kämpfte mit offenem Visier. Sein Bestreben war zu signalisieren, dass er für einen fairen Diskurs stehe; für diesen bot er Waffengleichheit an. Durch seine Art zu kommunizieren machte er sich angreifbar –
Lange hatte ich die Hoffnung, Habecks Stil könnte befriedend wirken, würde genug Kraft entfalten, um wie ein heilsamer Keim auf den ganzen Berliner Politikbetrieb überzugreifen, auf diesen abzufärben.
Doch ich lag falsch: Die politische Konkurrenz erlebte Robert Habeck nämlich keineswegs als Hoffnungsträger für eine nachhaltig bessere Diskussionskultur. Sondern im Gegenteil: Die Platzhirschen des Politikbetriebes – vor allem jener meist männlich-barock daherkommende Politiker-Typus, der die Karriereleiter mit brachialer Rhetorik und unter absoluter Vermeidung jeglicher Form von Selbstzweifel erklommen hatte – sahen in dem Grünen Minister eine fundamentale Bedrohung eigener Ambitionen.
Nicht auszudenken, sollten die Wähler daran Geschmack finden!
Wann genau der rechts-konservative Teil des politischen Establishments den Entschluss fasste, dass das Konzept Robert Habeck zerstört werden müsse, ist ungewiss. Im Falle von Markus Söder, dem selbst erklärten Erzfeind des Grünen Vizekanzlers – lässt sich der Zeitpunkt allerdings sehr genau datieren: auf den 28.02.2024. An diesem Tag trafen Söder und Habeck auf einem Podium der Internationalen Handwerksmesse in München aufeinander. Und einem staunenden Publikum wurde eklatant wie selten vor Augen geführt, wie ein fachlich, stilistisch und charakterlich weit überlegener Wirtschaftsminister dem bayerischen Ministerpräsidenten einen rhetorischen Einlauf erster Güte verpasste. Söder selbst würde wohl sagen: Da spielte Kreisklasse gegen Champions League. Das Video ist immer noch auf YouTube zu finden (https://youtu.be/YnBv-Y-ZjB8?si=XY1xnz9g18g44QKO&t=1422). Die Vermutung liegt nahe, dass bei dieser Begegnung in Markus Söder der Entschluss reifte, Robert Habeck mit allen Mitteln aus dem Politikbetrieb zu entfernen.
Ein political animal wie der bayerische Ministerpräsident kann ohne ein klares Feindbild, das er für alle Probleme und Missstände verantwortlich machen kann, nicht existieren. In den vergangenen Jahren arbeitete sich Söder mit bemerkenswerter Zähigkeit und Skrupellosigkeit an den Grünen ab – zuvorderst an dem Trio Annalena Baerbock, Ricarda Lang und Robert Habeck. Alle drei sind ihm nun abhandengekommen. Wen wird der CSU-Chef zum nächsten Sündenbock machen? Warten wir‘s ab. Zu befürchten ist, dass es die Europäische Union sein wird.
Ist das Projekt Habeck final gescheitert?
Ein Optimist würde sagen: nein. Die Habeck-muss-weg-Kampagne war eine konzertierte Aktion von schwachen, eigentlich gestrigen Politikern mit Imposter-Syndrom, unterstützt von Medien-Outlets der unseriöseren Sorte, allen voran der Springer-Presse. Der ungeheure Aufwand, der betrieben wurde, kann bei wohlwollender Betrachtung als gutes Zeichen gewertet werden: als Indiz für die Power und das Potenzial, das man dem talentierten Norddeutschen zuschrieb; als Korrelat zur Panik, die das populistische Lager angesichts eines für möglich erachteten Paradigmenwechsels ergriff.
Doch Optimismus fällt schwer dieser Tage. Denn offenbar fiel das faule Obst der Intrige auf fruchtbaren Boden. Will heißen, ein Gutteil der Bürgerschaft griff die Gehässigkeiten nur allzu gerne auf, verinnerlichte sie und trug sie weiter. Auch viele Bürger fühlten sich anscheinend von der Habeck’schen Kommunikation eher provoziert als ernst genommen. In den asozialen Medien war der Hass auf Habeck – wen wundert’s? – besonders virulent. Und eines fiel auf: Die Reaktionen auf Äußerungen des Wirtschaftsministers fielen umso drastischer, unbändiger und hämischer aus, je zugewandter und wertschätzender sich dieser äußerte.
Habeck‘s Freundlichkeit wurde von einer relevanten Bevölkerungsgruppe nie erwidert; vielmehr schien sie diese Leute regelrecht zu triggern.
Hassten die Menschen seine Intelligenz?
Verachteten die Wähler seine Empathiefähigkeit?
Es scheint paradox, und doch glaube ich, dass Robert Habeck letztlich seine guten Eigenschaften zum Verhängnis wurden. Er breitete seine Arme aus, doch alles, was die Menschen sahen, waren ihre eigenen Defizite, oder vielleicht: die bessere Version von sich selbst, die sie nie geworden sind. Indem sie Habeck mit abgrundtiefem Hass überzogen und über seine vermeintlich unmännliche Intellektualität spotteten, vermieden sie, sich mit ihren eigenen Schwächen beschäftigen zu müssen. Ein klassischer psychologischer Mechanismus zur Aufrechterhaltung des eigenen Selbstbildes wurde einem Politiker zum Verhängnis, der großes für unser Land hätte leisten können.
Insofern ist die Diagnose, die Robert Habeck nach der Bundestagswahl 2025 angesichts des schlechten Wahlergebnisses von nur 11,6 % stellte, zwar kühn, trifft aber ins Schwarze: Das Angebot war top, die Nachfrage war nicht so dolle, stellte er salopp fest. Und stellte damit zugleich der Wählerschaft ein schlechtes Zeugnis aus, die sich als wenig resistent gegen die kampagnenhaft vorgetragenen, oft bis ins Persönliche gehenden Attacken erwiesen hatte.
Dieser Beitrag soll kein Abgesang sein. Die Hoffnung bleibt, dass es ein Abschied auf Zeit sein möge. Habeck selbst ließ in seinem Abschiedsvideo an die Grünen Parteifreunde vieles offen. Vielleicht ist das letzte Kapitel des Kinderbuchautors aus Schleswig-Holstein also noch nicht geschrieben.