Wahlk(r)ampf
Zugegeben: Ein wenig naiv sind sie schon, die Grünen.
Jedenfalls sind sie im aktuellen Bundestagswahlkampf die einzige Partei, die kommunikative Ungeheuerlichkeiten wie die Benennung der eigenen Fehlbarkeit zum rhetorischen Prinzip erhebt. Außerdem verzichtet man auf das allzu oft gehörte, aber nie geglaubte (geschweige denn umgesetzte) Versprechen, das eigene Wahlprogramm werde alle ent- und niemanden be-lasten.
Habeck und Co. geben sich also verletzlich; sie kommen weitestgehend ohne das ansonsten in der deutschen Parteienlandschaft üblich gewordene Dominanz- und Omnipotenzgehabe aus.
Diese wohltuende Selbstverpflichtung zur rhetorischen Integrität ist in meiner Wahrnehmung zuvorderst dem grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck zu verdanken.
Der Grünen-Wahlkampf kann somit als Fortsetzung der Strategie When they go low, we go high verstanden werden; das mag manche überraschen, denn eigentlich gilt diese von Michelle Obama geprägte Devise seit der krachenden Niederlage der Demokraten im US Wahlkampf als gescheitert. Gescheitert an der Wirkmächtigkeit sinistrer Kräfte in den asozialen Medien, und an der Mutlosigkeit der politischen Protagonisten.
Entwaffnende Nachdenklichkeit als Prinzip – das kann im privaten Umfeld funktionieren, aber auch im bundespolitischen Haifischbecken der 2020er-Jahre?
Robert Habeck scheint sich jedenfalls fest vorgenommen zu haben, an seinem optimistischen Menschenbild festzuhalten. Er redet der These vom mündigen Bürger das Wort, dem man auf echter Augenhöhe begegnen kann und muss. Diese Haltung steht in auffälligem Kontrast zu den Mitbewerbern:
- zur SPD des Olaf Scholz, die glaubt, durch das Versenden ungedeckter Rentenschecks an die zahlenmäßig übermächtige Boomergeneration deren Stimmen, und damit eine zweite Kanzlerschaft, erkaufen zu können;
- zur CDU, die die konservativen Beharrungskräfte beschwört, indem sie einen Kandidaten aufstellt, der eine Black-Rock’sche Aura verströmt (die nur leider im humorlos-verstaubten Gewand der 1980er-Jahre daherkommt), und der sich ansonsten jeden Zweifel daran, dass er die Lage vollständig im Griff hat, ausdrücklich verbittet;
- zur FDP, deren Führungsriege sich – ganz ohne das Zutun anderer – kürzlich selbst disqualifiziert hat, indem sie ihrer sittlichen Verantwortung auf geradezu pyramidale Weise nicht gerecht geworden ist;
- zur CSU, die sich besonders dadurch hervorgetan hat, sich zum selbsternannten Erzfeind der Grünen zu stilisieren. Jedoch ist das lieb gewordene Hobby des Grünen-Bashings allem Anschein nach ausgereizt, man ist seiner überdrüssig geworden. Den Zwischenrufen aus der CSU, und insbesondere von Markus Söder, der im politischen Diskussionsraum in immer höherer Frequenz ganz eigene Duftmarken zweifelhafter Qualität setzt, beispielsweise indem er ganz unverhohlen den Kniefall vor der Nürnberger Rostbratwurst übt, mangelt es so offensichtlich an Ernsthaftigkeit, dass sich manch eingefleischter CSU-Anhänger mittlerweile nicht mehr ganz wohl in seiner Haut fühlen dürfte.
- zu den Parteien der politischen Ränder, deren Hauptarbeit seit jeher darin besteht, die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zielgenau zu identifizieren, zu bewirtschaften und zu verstärken, weil sie zu wissen glauben, dass es für sie um so besser läuft, je schlechter die gefühlte Gesamtsituation vom deutschen Volkskörper beurteilt wird.
- und schließlich zu Hubert Aiwanger…nun ja.
Man wird sehen, wie die letzten Wochen bis zur Wahl verlaufen. Falls die Zahl der Parteibeitritte ein Indikator für die Stimmung im Lande ist, dann könnte die Rechnung von Team Robert tatsächlich aufgehen. Ich persönlich bin jedenfalls zuversichtlich, dass der schale Beigeschmack, den die Formel die Grünen sind an allem Schuld von Anfang an hatte, irgendwann auch denjenigen den Appetit verderben wird, die heute noch meinen, sich über das Gutmenschentum von Bündnis 90/Grüne lustig machen zu müssen. Im Übrigen: Wenn Gutmensch zum Schimpfwort wird, haben wir ein großes Problem. Früher oder später werden das die Menschen im Lande hoffentlich erkennen.
Und dann kann Politik für Deutschland gemacht werden.